
(Quelle: OEM&Lieferant Ausgabe II/2016)
Von Dr. Knut Poeschel, Bertrandt Ingenieurbüro GmbH, Ingolstadt
Der Frontalaufprall stellt eine der häufigsten Unfallarten dar. Ein optimal ausgelegtes Rückhaltesystem gilt als zentrales Element, um den Insassenschutz zu erhöhen. Versuchsingenieure bei Bertrandt in Ingolstadt tragen dazu bei, Systeme der aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit zu optimieren und für die Zukunft weiterzuentwickeln.
Komponenten eines Rückhaltesystems
Das Rückhaltesystem hat während einer Kollision die Aufgabe, auftretende Kräfte auf die Insassen zu reduzieren und das Verletzungsrisiko zu vermindern. Hinsichtlich ihrer Funktionen wird das Rückhaltesystem in primäre und sekundäre Komponenten unterteilt. Primäre Komponenten – wie Sicherheitsgurt mit Straffer, Schloss und Kraftbegrenzer sowie Frontal- und Knieairbag – senken Verletzungen. Sekundäre Komponenten, wie beispielswese Lenkrad, Lenksäule, Instrumententafel und Karosseriestruktur, erfüllen grundsätzlich andere Funktionen, wirken jedoch maßgeblich auf das Rückhaltesystem und den Insassenschutz ein.
Simulation und Versuch abstimmen
In der Entwicklungsarbeit ist die enge Zusammenarbeit von Simulation und Versuch für die Auslegung des Rückhaltesystems von Vorteil. Simulationsmodelle stehen im Entwicklungsprozess früher als Hardware zur Verfügung. Hardware-Versuche sind sehr kostenintensiv, zum Beispiel durch viele unterschiedliche Konstellationen von Tests, wie etwa Robustheitsuntersuchungen. Das enge Zusammenspiel zwischen Simulation und Versuch sichert eine hohe Qualität der Erprobung und behält gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit im Auge.
Vorauslegung
In der Vorbetrachtung werden die geplanten Märkte mit ihren spezifischen Gesetzes- und Verbraucherschutz-Anforderungen analysiert. Durch die angestrebten Ziele im Verbraucherschutz findet eine Produktplatzierung des Fahrzeugs im Markt statt. Eine Wettbewerbsanalyse zu Sicherheitsausstattungen liefert erste Erkenntnisse über einzusetzende Komponenten. Biomechanische Insassenbelastungen, Fahrzeugverzögerungen und aktive Komponenten des Rückhaltesystems stellen mögliche Bewertungskriterien dar. Die Betrachtung der vorherigen Fahrzeuggeneration rundet die Vorauswahl ab.
Vom Konzept zur Serienkonfiguration
Während der Konzeptphase entwickeln Lieferanten die Komponenten und validieren diese auf Ersatzprüfständen. Als Ergebnis sollten die Grundperformance der Komponenten definiert und vorvalidierte Simulationsmodelle erzeugt sein. Es empfiehlt sich, diesen Prozessschritt in der Simulation nachzustellen. Nach erfolgreicher Komponenten-Entwicklung kann die nächste Phase beginnen. In Schlittenversuchen und der begleitenden Simulation wird erstmals das komplette Rückhaltesystem mit allen Komponenten überprüft. Herausfordernd ist die Bestimmung des Verzögerungspulses, da in frühen Projektphasen keine realen Strukturpulse vorliegen. Durch den Schlittenversuch ist das Rückhaltesystem für den anschließenden Fahrzeugcrashversuch und die Crashsimulation bereits sehr gut ausgelegt.
Im Idealfall stellt der anschließende Gesamtfahrzeug-Crashversuch den einmaligen Abschlusstest der jeweiligen Fahrzeugstufe dar. Dennoch sollte in diesen Crashversuchen das Rückhaltesystem erneut überprüft werden, da sich die Strukturpulse während der Entwicklung ändern können. Auch eine Feinjustierung des kompletten Rückhaltesystems ist mit den Crashversuchen möglich.
Zusammenfassung Entsprechend der Komplexität der jeweiligen Phasen, der damit einhergehenden Komponenten- und Fahrzeugverfügbarkeit sowie der Kosten werden die Entwicklung und erste Abstimmung der Komponenten des Rückhaltesystems auf den Ersatzprüfständen durchgeführt. Die Anpassung des vollständigen Rückhaltesystems erfolgt mittels Schlittenversuchen. Die finale Feinabstimmung findet durch Gesamtfahrzeug-Crashversuche statt.
(Quelle: OEM&Lieferant Ausgabe II/2016)